Achtsamkeit 4.0 Teil 2 – Welchen Einfluss nimmt das digitale Leben auf unser Gehirn?

 Digitalisierung bewirkt „Sofortness“ Das Smartphone macht es möglich, dass alles gleich ohne Pause passiert. Alles ist megadringend. Innerer Unruhezustand. „Hilfe ich verpasse was“

Aus dem Buch „Mail halten“ von Anitra Eggler

Es ist ein großer evolutionärer Vorteil, dass sich Gehirne jeglicher mit diesem Organ ausgestatteten Spezie durch Änderungen der Neuronen neu programmiert.  Jedes Werkzeug, das von Menschen verwendet wird, ändert die Art und Weise wie wir denken. Die Erfindung der Schrift, die Einführung der Uhren als Hilfsmittel der festen Einteilung des Tages, der Buchdruck, die industrielle Fertigung – all dies veränderte die Denkstruktur der betroffenen Individuen und in Wechselwirkung auch die Gesellschaften.

Folgend ein paar Beispiele, wie unser Gehirn durch die neuen digitalen Werkzeuge umprogrammiert wird.

Reizfolge

Das Internet mit seinen vielen Angeboten spricht eine uralte, evolutionäre Ebene unseres Gehirns an. Im Gegensatz zur fokussierten Aufmerksamkeit (Konzentration auf eine Sache, einen Reiz) steht die fluktuierende Aufmerksamkeit. Diese ist eine überlebensnotwendige Funktion, die wir heute im Straßenverkehr benötigen. Früher diente sie dem Überleben in einer lebensfeindlichen Umwelt. Unser Gehirn fragt in einem ungefähren Rhythmus von zwei bis drei Sekunden nach, was es Neues in der Welt gibt. Um diesen Reiz zu fördern schüttet unser Körper Dopamin aus und erzeugt damit ein Glücksgefühl. In Folge lernen wir mit dieser schnellen Reizfolge umzugehen.  Also suchen wir weiter Reize indem wir quasi gleichzeitig in schneller Folge auf mehreren Ebenen online unterwegs sind. z.B. WhatsApp, Facebook, Onlinenews, Amazon, sinnloses surfen, usw.

Dies hat Auswirkungen weit außerhalb des Netzes. Vergleichen Sie einfach einen Film der 70er Jahre mit einem Film der frühen 2000er. Diese alten Filme erscheinen heute den meisten Menschen als langweilig. Auch die Berichtserstattung folgt immer schnelleren Impulsen. Reichte bis in die 80er Jahre noch das Warten auf die Abendnachrichten im Fernsehen oder der Zeitungsbericht am nächsten Morgen, so verlangen wir jetzt quasi in Echtzeit über jedes eventuell bedeutende Ereignis informiert zu werden.

Informationsverarbeitung:

Computer verändern die Art wie wir Informationen aus Texten aufnehmen entscheidend anders als wir es von Printmedien gewohnt waren.  Jahrzehntelang haben wir Texte Wort für Wort, Zeile für Zeile sequenziell abgearbeitet. Bei der Informationsgewinnung aus dem Netz gehen wir anders vor. Aus der Unmenge der Informationen, die uns hier zur Verfügung stehen, überfliegen wir die Ergebnisse schnell daraufhin, ob hier in den Informationsschnippseln Hinweise vorhanden sind, die uns die gewünschte Information vermitteln.

Wir nutzen das Web also selten zum gemütlichen Schmökern, wie wir es bei einem Buch tun würden, sondern klicken uns durch die ersten Seiten, die Google uns auf unsere Frage hin präsentiert.

Dasselbe gilt für die Art wie Texte entstehen. Waren früher Änderungen an einem Text nur durch neues Schreiben möglich, kann jetzt erst einmal drauflos geschrieben werden. Texte werden dadurch nicht erst vor dem Erstellen im Kopf und/oder durch Notizen durchdacht und strukturiert, sondern verändern sich oft spontan laufend während dem Entstehungsprozesse.

Beides ändert bei jedem, der Informationen über die modernen Medien verarbeitet, schon recht kurzfristig die Gehirnstrukturen. Während wir lernen immer schneller auftauchende Informationen in kurzer Zeit zu verarbeiten verlernen wir gleichzeitig unserer Fähigkeiten uns für längere Zeit strukturiert auf eine Tätigkeit zu fokussieren.

Sozialer Umgang

Soziale Medien geben Menschen das Gefühl unsere wichtigen sozialen Grundbedürfnisse nach z.B. Einzigartigkeit, Freunden, Anerkennung, Wissen oder Macht zu befriedigen. Jedes Like in Facebook, jedes Herzchen in Instagram, gibt uns das Gefühl in einer Gemeinschaft zu sein. Fehlende Likes fordern uns heraus, noch aktiver zu werden – gegebene Likes fordern uns heraus die Aktivität beizubehalten.

Die digitalen Möglichkeiten wecken sowohl den Exhibitionisten als auch den Spanner im Menschen. Wir brauchen kein BigBrother und kein Dschungelcamp mehr. Wir sind gleichzeitig Akteure und Zuschauer in dieser neuen Welt.

Distanzzonen

Wir können hier grob unter drei Distanzzonen betrachten, die uns beim Umgang mit Mitmenschen unterbewusst reagieren lässt:

  1. Die Intime Zone: Diese Zone beträgt ca. 50 – 60 cm um uns. In diese Distanzzone in der wir normalerweise nur enge Freunde, die Familie und unsere Partner lassen.
  2. Die persönliche Zone: Diese Zone beträgt ca. 1 bis 1,2 m um uns. Das ist normalerweise die Distanz, in der wir, ohne uns bedrängt oder bedroht fühlen, persönliche Gespräche führen
  3. Die gesellschaftliche Zone: Diese Zone befindet sich ca. 1 – 2 m um uns. Das ist die Distanz, die wir gegenüber fremden Personen einhalten, bei denen eine Kontaktaufnahme auch nicht erwünscht ist

In den 90er Jahren ist mir mir erstmals in einer Diskussion in einem Netzforum, in der es darum ging warum Diskussionen im Netz oft so emotional sind, erstmals durch  den Netzaktivisten padeluun die Theorie Computer und Distanzzonen aufgefallen.: Unsere Geräte (Notebook, Smartphone, Tablett), die uns bei intensiver Beschäftigung immer mehr in unserem Gehirn wie ein zusätzliches Körperteil vorkommen, befinden sich im Kontakt mit unseren Mitmenschen in den beiden sozialen Distanzen, in denen wir nur persönliche Kontakte tolerieren.

Fremde Menschen, die sich im Offlineleben in dieser Zone befinden, betrachten wir als Bedrohung, Menschen, die uns nahe stehen dagegen dürfen uns im realen Leben sogar berühren, bzw. schaffen es durch Berührung eine Nähe zu erzeugen.

Derselbe Mechanismus funktioniert auch durch unsere künstlichen Sinnesorgane entsprechend im digitalen Kontakt mit unserem Umfeld. Je nach Umstand fühlen wir uns dadurch unserem digitalen Gegenüber entweder besonders verbunden bzw. auch schnell angegriffen und reagieren entsprechend.

Das Spannende ist, Freundschaften, die im Netz entstehen sind genauso im Gehirn verankert, wie physische entstandene Freundschaften. Das geht bis dahin, dass Menschen sich online verlieben. Aber auch das Gegenteil, wie Hass und Agressionsgedanken können bei entsprechender Ablehnung des digitalen Gegenübers, der durch unser Kontaktmedium sich entweder in der persönlichen oder gar der intimen Distanz befindet, entstehen.

Inzwischen gibt es Untersuchungen, dass bei Netzaffinen Menschen auch das Mut zusprechen per WhatsApp vor Prüfungen wirksame Erfolge hat und psychisch bestärkt.

Körperhaltung

Nicht zu vernachlässigen ist auch der Effekt, der unsere Körperhaltung auf unsere Emotionen hat.  Aus der Verhaltenspsychologie kennen es: Wenn wir uns bewusst in eine aufrechte Körperhaltung mit einem aufrechten Kopf begeben, fühlen wir uns schon nach kurzer Zeit Gut und selbstbewusst. Dahingegen sorgt eine gebückte Haltung mit einem gesenkten Kopf zu negativen Emotionen. In welcher Körperhaltung befinden wir uns, wenn wir uns mit digitalen Medien beschäftigen.

 

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